Ein
später Vormittag irgendwann unter der Woche. In der Stadt sind
bereits viele Leute unterwegs, aber es ist ein etwas besonderer Mix –
ein Großteil der Bevölkerung muß um diese Zeit schließlich
arbeiten.
Ich
sehe einen Mann auf einer Bank im Schatten unter einem Baum sitzen,
ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs. Er sitzt nur da, schaut ruhig
umher, trinkt ein Bier aus der Flasche.
Ich
zögere. Versuche, unauffällig einige Runden um den Mann zu drehen.
Warum eigentlich? Will ich etwa herausfinden, ob er schon betrunken
ist? Was für eine Rolle könnte das schon spielen, wenn er doch
diese Augen hat?
Ich
setze mich zu ihm und frage ihn nach einem Photo. Klaus schaut mich
aufmerksam an und will mit ruhiger Stimme wissen, wofür das Photo
sei und was genau damit passiere. Dann ist er einverstanden.
Klaus
ist sehr viel herumgekommen in seinem Leben, hat ganz Europa gesehen
und Teile von Afrika. Früher hat er viel gearbeitet, eine Zeitlang
war er auch selbstständig. Sein handwerkliches Talent nennt er eine
Gabe Gottes. Leider liefen die Dinge nicht immer ganz glücklich, und
so hat Klaus zwar noch eine Wohnungseinrichtung, die er bei einem
Freund deponiert hat, und er hat gutes Werkzeug, das bei seiner Frau
in Norddeutschland lagert, aber eine Wohnung hat er schon lange nicht
mehr. Seit vier Monaten schläft er im Stuttgarter Schloßpark.
Heute
ist ein schöner, milder Tag, aber der Herbst war dieses Jahr früh
und kalt. Da frage ich Klaus, was er machen werde, wenn der Winter
komme.
Klaus
sieht mich ehrlich erstaunt an: Aber es ist doch noch gar nicht
Winter, ruft er aus, heute ist es warm!
Klaus
erzählt mir unter anderem einige Episoden von seinem Leben auf der
Straße. Er zeigt auf eine Ecke ein paar Meter weiter: Da sitze ich
manchmal ganz still, ich mache nichts, ich spreche niemanden an, ich
sitze nur ruhig da und denke nach, aber dennoch kommen Security-Leute
und vertreiben mich – sie sagen, es sei verboten, da zu sitzen. Die
sollten mal ein paar Nächte im Park schlafen, und zwar nicht im
Sommer!
Einmal,
so erzählt er, sei eine Chinesin gekommen, die habe ihm
selbstgekochtes Essen gebracht, mit köstlicher Suppe und allem, und
die habe nichts von ihm gewollt - sie habe nur gesagt „essen!“,
und sonst nichts.
Während
unseres langen Gesprächs rollt irgendwann ein Mann ohne Beine mit
seinem Rollstuhl heran. Der Mann und Klaus unterhalten sich in einer
Sprache, die ich nicht verstehe. Während Klaus dann langsam eine
Zigarette für den Mann zu drehen beginnt, erfahre ich, dass dieser
Mann Rumäne ist. Als ich Klaus frage, ob er denn Rumänisch spreche,
winkt er ab: Nein, wir haben eine eigene Sprache; es ist die Sprache
des Herzens. Im Schloßpark treffe ich die unterschiedlichsten Leute,
ich unterhalte mich mit allen. Ich schnappe ein paar Brocken auf,
daraus entsteht ein Mischmasch, und wir verstehen uns alle.
Der
Mann wartet ungeduldig auf die Zigarette, rollt ein Stück weiter,
als würde er es aufgeben, rollt dann wieder zurück, bis die
Zigarette endlich fertig ist. Glücklich steckt er sie ein und hält
Klaus ein Geldstück hin, der aber nur freundlich abwinkt.
Als
ich wieder zu Hause bin, fällt es mir schwer, mich zwischen einem
schwarz-weißen und einem farbigen Photo zu entscheiden. Da erinnere
ich mich, daß ich Klaus gesagt habe, ich würde vermutlich ein
schwarz-weißes verwenden. Die Idee von einem schwarz-weißen
Portrait hatte Klaus sehr gefallen.
Hier
ist es.
Vielen
Dank, Klaus!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen